Manche Filme werden hauptsächlich deshalb berühmt, weil sie eine völlig wahnsinnige Grundidee haben. "Wahnsinnig"... nicht etwa "neu".
Die Idee, einen kompletten Film in nur einer langen Plansequenz (also einer durchgezogenen Einstellung ohne Schnitte) zu erzählen, hatten schon Hitchcock 1948 in "Rope" (bzw. "Cocktail für eine Leiche"), Alexander Sokurow 2002 in "Russian Ark" und vorletztes Jahr Alejandro Inarritu mit "Birdman". Während Hitchcock und Inarritu jedoch mehr oder weniger versteckte Schnitte einbauten und so nur den Eindruck erweckten, eine durchgehende Einstellung zu drehen, hat Sokurow es durchgezogen. Und jetzt eben auch Sebastian Schipper mit "Victoria".
Die Aufzählung der Vorgänger soll den gigantischen organisatorischen, technischen und inszenatorischen Aufwand keineswegs schmälern.
Doch auch Hitchcock hatte sich damals bereits gefragt, ob diese Herangehensweise denn wirklich sinnvoll ist. Der Schnitt ist immerhin die Technik, die der Film nicht mit irgendeiner anderen Kunstform teilt. Es macht ihn einzigartig und verleiht ihm dramaturgische und erzählerische Möglichkeiten, die "die anderen" nicht haben.
Und die Frage, ob es sich wirklich um eine ununterbrochene Einstellung handelt oder nur so aussieht, ist ja letztlich auch eine rein technische und insofern für den normalen Zuschauer uninteressante. Diesen interessiert nämlich nicht, ob es technisch schwierig ist, das umzusetzen. Er will eine spannende und gute Geschichte erzählt bekommen.
Glücklicherweise gelingt Herrn Schipper auch das! Wenn er auch anfangs mit einer extrem unglaubwürdigen Exposition und kaum nachvollziehbaren Entscheidungen der Hauptfigur versucht, einen Elefanten gewaltsam in ein Mauseloch zu stopfen, so gleitet die Geschichte mit zunehmender Laufzeit immer leichter und flüssiger dahin.
Victoria ist eine Spanierin in Berlin, deren Deutsch quasi nicht vorhanden ist und die verzweifelt auf der Suche nach einem funktionierenden Sozialleben ist. In einem lauten und dreckigen Berliner Club trifft sie auf vier Jungens, die lustig, locker, offenbar leicht gewalttätig und nicht mehr diesseits der Legalität unterwegs sind. Man ist sich sympathisch und hängt miteinander ab.
Doch die kriminelle Vorgeschichte eines der Jungs holt die Jugendlichen irgendwann ein und es muss das eine große Ding gedreht werden. Und Victoria steckt längst mittendrin...
So weit so vorhersehbar ist das Ganze, wird aber super vom Spiel der Schauspieler getragen. Auch nicht zuletzt über die seeeehr lang dauernde Exposition, die ich wahrscheinlich nicht durchgehalten hätte, wenn ich nicht gewusst hätte, dass da noch was Schlimmes passiert.
Die Erzählung in Echtzeit entwickelt tatsächlich einen sehr starken Sog. Hätte man den Film jedoch in verschiedenen Einstellungen gedreht, hätte das nichts an dieser Wirkung geändert. Tatsächlich reißt einen das Wissen, dass es sich hier um nur einen Take handelt, immer wieder aus der Handlung heraus und man fragt sich hier und da, wie man hier die Kamera postiert hat und wo eigentlich die Regie steckt etc.
Und so verkommt das große Argument, das der Film wie ein Plakat mit Ausrufezeichen vor sich her trägt, zu oft zu einer ablenkenden technischen Spielerei ohne inhaltlichen Wert und zugleich zu einem brillianten Marketing-Einfall.
Der Film ist trotzdem sehr unterhaltsam, hat einen sehr eigenen Stil (was ich viel zu oft vermisse bei deutschen Filmen), ist extrem spannend, leidet gelegentlich unter unnachvollziehbaren Dämlichkeiten der Figuren, aber rauscht trotz über zwei Stunden Länge so durch. Kann man sich durchaus mal anschauen.